Off Limits by Hans Habe

Off Limits by Hans Habe

Autor:Hans Habe
Die sprache: deu
Format: epub


Die Nacht war ohne Gespenster

Es war der letzte Samstag im Februar. Auf der Erde lag noch der Winter, aber am Himmel war schon Frühling.

Inge und Hans waren mittags aus Garmisch-Partenkirchen aufgebrochen. Hans bewegte sich auf Skiern: Inges Skier, oder Karins richtiger, die er ausgeliehen hatte, trug er auf den Schultern. Inge konnte nicht Schi laufen, heute wollte er ihr die erste Lektion erteilen.

Damals, als er sie auf der Isarbrücke getroffen und nach Hause gebracht hatte, war Hans Eber entschlossen, sie nicht wiederzusehen. Er hatte sich immer lustig gemacht über die »Spießer«, aber ebenso machte er sich lustig über die Erzählungen aus der Jahrhundertwende; die Leute hatten nichts Besseres zu tun, als die Seelen der Dirnen zu retten. Es war nichts als eine ungeschickte Höflichkeitsfloskel gewesen, besonders unangebracht in dieser Situation, als er sie fragte, wann er sie Wiedersehen würde. Sonntag nachmittag, hatte sie gesagt, sei sie zu Hause. Gegen vier, wenn er kommen wollte.

Er dachte nicht daran, sein Versprechen einzulösen, aber am Sonntag um vier stieg er die knarrenden Holztreppen des Hauses am Ostfriedhof hinauf. Sie hatte ihren Vater fortgeschickt; sie waren allein. Sie mußte ihn erwartet haben, denn der Kaffeetisch war gedeckt. Zuerst sprachen sie nur, um eine Brücke von Worten über ihre Verlegenheit zu bauen. Sie sprach von Bombennächten; er von Frontnächten — beide hart und ohne Mitleid, sich bloß erinnernd, wie junge Menschen früher von Sommernächten gesprochen hatten. Dann erzählte sie von ihrer Mutter, die ihren Vater verlassen hatte, und er erwähnte seinen Vater, der seiner Mutter untreu geworden war. Sie kannte den Namen Eber nicht; er fragte sich, ob sie überhaupt etwas anderes kannte als den Friedhof, die Bombennächte und die Huren vom Sendlinger-Tor-Platz. Sie hörte ihm zu, nicht so sehr verwundert über das, was er sagte, als darüber, daß ihr jemand etwas erzählte.

Als ihr Vater heimkam, ging Hans. Seither trafen sie sich in kleinen, kalten Kaffeehäusern. Sie waren so unaufrichtig miteinander, daß sie niemals auch nur mit einem Wort auf ihre erste Begegnung und ihr erstes Gespräch zurückkamen, und so aufrichtig, daß sie Hand in Hand den gleichen Kreis um die Lüge beschrieben. Eines Tages nannten sie sich auf einmal du, aber er dachte nie daran, sie zu berühren, und sie fürchtete den Moment, wenn sie ihm abends die Hand zum Abschied reichen mußte. Sie beschlossen immer wieder, einander nicht mehr zu sehen, und sahen einander immer wieder. Je größer die Zeitspannen waren zwischen ihren Begegnungen, desto deutlicher wurde ihre Furcht, daß eines Tages geschehen müßte, was nicht geschehen durfte, weil die Sternstunde der ersten Begegnung zwischen Mann und Frau nicht auszulöschen ist und nicht wegzudenken.

Hans wußte nicht, was ihm den Gedanken eingegeben hatte, den Wochenendausflug in die Garmischer Berge vorzuschlagen. »Wollen wir Samstag nicht Schi laufen gehen?« — die alltägliche Frage war von jener zarten Unaufrichtigkeit, die ihr Verhältnis kennzeichnete. Er wollte nicht wissen, daß Samstag der große Bummeltag der Prostituierten war, und als sie mit kindlicher Freude ja sagte, vergaß sie für einen Augenblick, ihm ihre Hand zu entziehen.

Sie trafen sich Samstag mittags auf dem Bahnhof und fuhren nach Garmisch-Partenkirchen.



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